Sandra Bullock: Pech in der Liebe... Glück im Spielfilm!
Sandra Bullock: Pech in der Liebe... Glück im Spielfilm! - Glaub an dich! Das muss sich nicht nur Michael Oher sagen, als er 'die große Chance' erhält - auch Bullock lehnte ihre Rolle zunächst mehrfach ab, die ihr so viel einbringen sollte
"Blindside" oder "Blind Side", das war die Frage. Vor vielen Jahren gab es in der Videothek vor Ort zwei Titel, die sich sehr ähnlich lasen: "Blindside" (Kanada 1986) mit Harvey Keitel und Blind Side (USA 1993) mit Rutger Hauer. Der erste hat den Sprung von VHS ins digitale Zeitalter bislang nicht geschafft, sorgt somit im gegenwärtigen Verleih für keinerlei Missverständnisse mehr.
Dafür ist ein anderer Titel am 30. Juli 2010 auf DVD und Blu-ray Discs erschienen: Blind Side (USA 2009) mit Sandra Bullock. "Die große Chance" wurde vom Label Warner Home Video vorsorglich in Deutschland angefügt, dabei hat die "Blind Side" in ihrer Bedeutung nichts mit einer "großen Chance" zu tun. Wofür steht "Blind Side" überhaupt und kann man den deutschen Titelzusatz als Heimkinofan beim Wort nehmen? Darf man sich die große Chance auf zwei Stunden gute Unterhaltung erhoffen, oder bedeutet es tatsächlich nur die große Chance für die Hauptfigur dieser Geschichte?
Blind Side... die große Chance
Die Hauptfigur, das ist nicht Sandra Bullock, auch wenn sie die Hauptantriebsfeder für die Vermarktung darstellt. Zu ihrem Prominenten-Status in Hollywood und zu traumhaften Gagen kam endlich etwas hinzu: Sie erhielt für Blind Side die begehrten Darsteller-Auszeichnungen bei der Golden Globe Verleihung sowie bei den Academy Awards 2010, den "Oscar" für die beste weibliche Hauptrolle. Das Liebesleben ihrer Begleitung bei den Golden Globes und die anschließende weltweite Berichterstattung über das Privatleben taten ihr Übriges zur Aufmerksamkeitssteigerung.
Vor dieser Last an Filmpreisen und Schlagzeilen gerät der eigentliche "Held" in Blind Side völlig in den Hintergrund: Michael Oher, dargestellt von Quinton Aaron. Schauspieler Aaron, 1984 in der Bronx geboren, ist kein ganz unbeschriebenes Blatt: In der Komödie Abgedreht (2007) kann man ihn sehen oder in The Ministers (2009 mit s.o. Harvey Keitel). Heute schmückt seine mächtige Gestalt Kinoplakate und ab sofort auch DVD und Blu-ray Cover. "Ist das nicht ein Sportfilm?", fragte uns eine Kollegin aufgrund der viele Pressebildern mit Football-Motiven.
Nein, es ist der Werdegang des Michael Jerome Oher (*1986), der später an der Universität von Mississippi College Football spielte und in der NFL, der National Football League, Karriere machte. Im Film wird der schicksalhafte Abschnitt seines Lebens erzählt, der ihn von der Straße holte und ins College Team beförderte, nach der Buchvorlage "The Blind Side: Evolution of a Game" von Michael Lewis.
Gib Acht auf deine 'Blind Side'!
"Es gibt einen Moment friedlicher Ruhe, bevor ein Football-Spiel beginnt. Die Spieler sind in Position, die Männer an den Linien wie erstarrt, jetzt ist alles möglich." leitet die Erzählerin Leigh Anne Tuohy (Bullock) mit den Fernsehbildern einer Begegnung der Washingtoner Redskins ein und berichtet von einem Tackle des Giants Spielers Lawrence Taylor. Quarterback und Left Tackle, wer verdient mehr, wer übernimmt welche Rolle in den Spielzügen - für den Fortlauf des Films muss man glücklicherweise kein Football-Kenner sein. Erfreulich obendrein, dass gleich in den ersten Sätzen "The Blind Side" (Originaltitel) als der Bereich erklärt wird, den es zu schützen gilt, da er vom Quarterback nicht gesehen werden kann.
Michael Oher, zu seinem Missfallen "Big Mike" genannt, ist ein großer Kerl, ein farbiger junger Erwachsener aus einem schlechten Elternhaus, in dem sich der Vater längst aus dem Staub gemacht hat und die drogenabhängige Mutter überfordert ist. Ein Coach an der Wingate Christian School setzt sich für die Aufnahme von Michael ein, nachdem er ihn auf dem Hof hat Ballspielen sehen. Hoffentlich bleiben das ehrenwerte Motive, wünscht man sich, denn Michael gewinnt mit seiner massigen Statur und seiner unbekümmerten Körperhaltung auf Anhieb die Sympathien der Zuschauer, vorausgesetzt Sie haben ein Herz für Außenseiter.
Die große Chance, uns die Begegnung zwischen Quinton Aaron und Sandra Bullock gleichermaßen glaubhaft wie unterhaltsam näher zu bringen, nutzt Blind Side souverän. Obwohl Sie unsere Vorbehalte gegen die Ausgangssituation vielleicht teilen - eine wohlhabende Weiße nimmt einen Bedürftigen in der Familie auf, ein junger Mann aus ärmlichen Verhältnissen wächst mit seinen Talenten über sich hinaus - werden drohende Klischees vom Regisseur John Lee Hancock (Die Entscheidung 2002, Alamo 2004) elegant umschifft.
Ähnlich gut, wie wir uns an die erste Begegnung mit Good Will Hunting (1997) erinnern, könnte auch Blind Side im Gedächtnis bleiben. Denn beide erzählen lehrreich (aber nicht gelehrig), warmherzig (aber nicht aufgewärmt) von bewegenden Einzelschicksalen, die das Interesse innerhalb weniger Filmminuten wecken. Bei beiden stimmt das Zusammenspiel zwischen Jung und Alt, zwischen Matt Damon und Robin Williams im Jahre 1997 und aktuell zwischen den Filmpartnern Aaron und Bullock.
Quinton Aaron geht dermaßen in seiner Rolle des Michael Oher auf, dass man vergisst, dass doch in Wirklichkeit eine tolle schauspielerische Leistung dahinter steckt und Sandra Bullock liefert wirklich eine besondere Leistung ab, die von Anfang bis Ende fasziniert. Keineswegs bloß mit dem körperlichen Charme einer inzwischen 46-Jährigen, Bullock spielt einfach klasse. Dabei hatte sie die Rolle angeblich zunächst dreimal abgelehnt, weil sie keine strenggläubige Mutter darstellen wollte. Am Ende hat sie ihrer Filmfigur eine schöne Ambivalenz verliehen und verzichtete mit Zusagen an Gewinnbeteiligungen auf eine hohe Gage, so dass Blind Side mit 29 Millionen Dollar vergleichsweise günstig produziert werden konnte.
Chance genutzt bis ins Detail
Ein bisschen ruhige Musikbegleitung von Soundtrack-Profi Carter Burwell, schön ausgesuchte und unaufdringliche Einstellungen von Kameramann Alar Kivilo runden die äußere Form akustisch und visuell ab. Wenn's geht bitte im Original anschauen, den auch eine sorgfältige Synchronisation kann nicht der einmalig-charakteristischen Aussprache von Sandra Bullock gerecht werden. Das ungleiche Gespann erinnert die ehemalige Clique von Michael Ohen an Miss Daisy und ihr Chauffeur (1989). Sie würden wie Jessica Lang und King Kong (1976) wirken, urteilt der gutbürgerliche Frauenkreis. Vorurteile auf beiden Seiten, gehässige Kommentare über ein fabelhaftes Duo. Und man merkt mit jeder Szene, dass die Verantwortlichen hinter Blind Side in Filmbildern denken und ihrerseits Filmfans sind. Wunderbar.
Trotzdem wird es bestimmt Entleiher geben, die beim Anschauen Kritikpunkte aufspüren und sich genervt zeigen könnten: von der Verwirklichung des amerikanischen Traums, vom Loblied auf Mut und Ehre, von der Moral, im Leben nie aufzugeben, vom gepredigten Glauben an sich selbst. Aus subjektiver Sicht und vielleicht auch aus einer geeigneten Stimmungslage heraus haben wir nichts Negatives zu bemängeln. Ob mit oder ohne Familienmitglieder daheim (Altersfreigabe ab 6 Jahren), werden Sie natürlich auch Football-Szenen erleben und schließlich wird Kultschauspielerin Kathy Bates (Titanic 1997, Misery 1990) noch ihren Beitrag zum positiven Gesamteindruck beitragen.
"Weshalb lächelst du?", fragt Film-Ehemann Sean Tuohy (Tim McGraw) seine Frau. Sandra Bullock: "Weiß ich nicht, ich bin einfach glücklich."
Das ist das Gefühl nach dieser Filmwahl - und hoffentlich zukünftig auch wieder für die seit ihrer Hauptrolle in Blind Side genannte: Oscar-Preisträgerin!