Der Wilde Westen ist tot, lang lebe der Wilde Westen!
Der Wilde Westen ist tot, lang lebe der Wilde Westen! - Totgesagt wurde das Westernfilmgenre schon oft. Dass sich dagegen auch heutige Westernproduktionen lohnen, das führt Regisseur Ed Harris im Örtchen Appaloosa vor
"Der Tag wird kommen", knurrte John Wayne in einem Film, der im Western-Lexikon von Joe Hembus auf einer Skala von ein bis drei Bewertungssternen vier Sterne erhielt.
Der schwarze Falke (USA 1956, Originaltitel: The Searchers. Regie: John Ford) hieß der Klassiker, Ethan Edwards die Rolle, die John Wayne verkörperte. Der einsame Held sollte mit einem finalen Filmbild - durch einen Türrahmen hinaus in die endlos-trostlose Landschaft - in die Filmgeschichte eingehen...
Der Wilde Westen aus der Ego-Perspektive
Der Tag wird kommen, da wird das Western-Genre in Hollywood endgültig gestorben sein, prophezeiten schon so manche sogenannte Branchenkenner. Aber wer will denn behaupten, dass der Western tot ist? Totgesagte leben länger, oder wie es sprichwörtlich heißt: "So lange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende." Gut so, denn es gibt doch mit jedem neu veröffentlichten Vertreter dieser Filmgattung auch neue Interpretationen aus der Pionierzeit Amerikas. Selbst bei den Konsolen- und PC-Games taucht das Westernthema wieder auf und das mit erstaunlich großem Erfolg. Aus der Ego-Perspektive kann man sich in Call of Juarez (2007, für Xbox360 und PC im Verleih) auf die Suche nach einem verschollenen Goldschatz machen. Hier muss man zwar nicht wie Lucky Luke schneller schießen als der eigene Schatten, reichlich Schusswechsel werden trotzdem geboten. Grund genug für die Selbstkontrolle der Unterhaltungssoftware, USK, den Titel - ebenso seine Nachfolger Call Of Juarez - Bound in Blood (2009, Playstation3 und Xbox360) und Call Of Juarez - The Cartel (2011, Playstation3 und Xbox360) - mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren zu belegen. Raue Sitten herrschten im Wilden Westen, wer weiß das nicht, und dementsprechend ungeeignet erscheinen die Spielversionen für Minderjährige. Die zeitgleich erschienenen Western im Spielfilmgewand dagegen sind inzwischen zumeist ab 16 oder gar ab 12 Jahren freigegeben. Welche das sind?
Appaloosa - ein Publikumsloser?
Eine Veröffentlichung hatte sich im September 2009 klammheimlich in die - im Gegensatz zur Landschaft im Film - gar nicht trostlose Filmlandschaft geschlichen: Appaloosa (USA 2008). Wie konnte es passieren, dass dieser Titel vergleichsweise unbekannt blieb? An der Darstellerriege kann es kaum liegen, denn den ein oder anderen Namen haben wir alle schon mal gehört: Ed Harris, Viggo Mortensen, Renée Zellweger, Jeremy Irons, Timothy Spall, Lance Henriksen. Ob diese großen Namen schon ein Garant sind und für ein spannendes Western-Comeback sorgen? So wie zuvor Russell Crowe und Christian Bale in Todeszug nach Yuma (2007)? Wir haben's für Sie gestetet.
Test the Wild West
Im Todeszug nach Yuma gibt die mitgelieferte Kurzdokumentation 'Outlaws, Gangs & Posses' einen geschichtlichen Einblick in die Welt der Gesetzlosen. Mit Abbildungen erörtern Historiker die Romantisierung der Mythen, die sich im Nachhinein betrachtet als reiner Überlebenskampf herausstellten. Illustre Namen erinnern an Sternstunden des Western: Jesse James, die Daltons, Butch Cassidy und der Sundance Kid in der Blütezeit des kalifornischen Goldrauschs Mitte des 19. Jahrhunderts, während des amerikanischen Bürgerkriegs. Der Film selbst beginnt mit dem jungen William, der bei Streichholzschein einen Western-Groschenroman (einer 'Dime Novelty' mit dem Titel 'The Deadly Outlaw') liest. Nun, die Sehnsucht des Jungen nach Heldenfiguren ist uns Filmfans allen nicht unbekannt und gerade die Westernfilme bieten wunderbare Prototypen solcher unabhängigen, souveränen Figuren. Wie die Souveränität über die Filmjahrzehnte hinweg zu verblassen begann, zeigt sehr anschaulich Clint Eastwoods Entwicklung des Outlaws, von den 50er-US-Cowboys über Italowestern bis hin zum mit 4 Oscars belohnten Spätwestern Erbarmungslos (USA 1992, Originaltitel: Unforgiven).
Sie merken an dieser weit ausholenden Einführung: Wenn man erst einmal wieder in das Western-Genre eintaucht, lässt es einen nicht mehr los! Es gibt viel zu erleben und selbst die heutigen Vertreter diese Filmgattung können uns immer wieder frische Facetten vorführen. Appaloosa in der am kürzestmöglichen Video Buster Bewertung, der Sterne-Bewertung: wir vergeben 4 Sterne. Diese vier Bewertungssterne sollten Sie jedoch nicht an der eingangs erwähnten 4-Sterne-Ehrung von Autor Joe Hembus messen. Bei seiner Buchbesprechung zu Der schwarze Falke trafen zwei Meister zusammen: Der Regisseur aus dem Jahre 1956, John Ford, war und ist unerreicht im klassischen Western-Filmschauplatz, dem 'Monument Valley', und der Filmkritiker Hembus wiederum gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet, nicht zuletzt weil er für sein Standardlexikon sage und schreibe 1567 Westernfilme - angefangen von 1894 und bis heute von seinem Sohn Benjamin Hembus fortgeführt - besprochen hatten. Wir für unseren Teil halten uns bei dem eingeschränkten Platz auf Ihrem Bildschirm an die Bewertung eines einzelnen Films: Appaloosa, den wir für eine gelungene Arbeit des Regisseurs und Hauptdarstellers Ed Harris halten und der unserer Meinung nach eine Vorstellung verdient hat.
Ed Harris stellte sich dabei einer Aufgabe, die Kultregisseur Sergio Leone im Vorwort von Joe Hembus' Lexikon treffend beschrieb: "Wie ein Reporter oder Historiker muß der Western-Regisseur inmitten von Cowboys und Pferden immer Distanz halten und sich dabei obendrein immer bewußt bleiben, dass er sich an der Grenze des Irrealen aufhält. Daß er auf diesem schmalen Grat ständig dabei ist, seine Reputation zu riskieren, weiß er ohnehin. Es genügt, einen kleinen Fehltritt zu tun, um auch bei dem gutwilligsten Zuschauer unglaubwürdig zu werden. Zugleich genügt an der Grenze des Irrealen oft eine winzige Manipulation, um aus einem hochdramatischen Vorgang, einem Duell zum Beispiel, eine ironische Farce zu machen, und umgekehrt. Am allerwichtigsten aber ist es, daß es beim Drehen eines Western viel Spaß gibt und daß den größten Spaß der Regisseur hat. Sonst funktioniert der Western nicht. Das gilt im Übrigen auch für andere Filme."
Eine gewisse Faszination, die Harris beim Lesen seiner Appaloosa Buchvorlage (von Krimiautor Robert B. Parker) nach eigener Aussage bereits nach einem Kapitel verspürte, hat er in seine Verfilmung herübergerettet. Die Dialoge sind tatsächlich merkwürdig, um nicht zu sagen merk-würdig. Möchten Sie eine kleine Kostprobe?
Everett (Viggo Mortensen): "Sie wollte wissen, ob du verheiratet bist."
Virgil (Ed Harris): "Was hast du ihr gesagt?"
Everett: "Dass ich das nicht weiß."
Virgil: "Was? Verflucht Everett, siehst du hier'ne Ehefrau?"
Everett: "Nein, seh' ich nicht."
Virgil: "Verdammt, wieso sagst du ihr dann, du weißt es nicht?"
Virgil und Everett heften sich in dem Örtchen Appaloosa zwei Sterne ans Revers, wir heften dem Film Appaloosa von 2008, der im Jahre 1882 spielt, vier von fünf möglichen Sternen ans Revers. Allein Ed Harris und Viggo Mortensen nach David Cronenbergs A History of Violence (USA/Deutschland 2005) nun auf der selben Seite des Gesetzes stehen zu sehen, ist unterhaltsam. Die Männerfreundschaft der beiden, die Begegnungen mit der kultivierten Allison (Renée Zellweger) oder dem Widersacher Randall Bragg (Jeremy Irons), sind sehenswert. Mit manchen Western-Klischees wird lustvoll gespielt, so hat Mortensen immer und überall sein mächtiges Gewehr zur Hand. Im Making-Of spricht er gar von einem neuen Körperteil während der Dreharbeiten. Sein Filmkumpan Harris erhielt eine andere Flinte, die einen schönen Klassiker zitiert: WINCHESTER '73 (1950 von Altmeister Anthony Mann).
Einziger Wehrmutstropfen ist letztlich das Gefühl, dass hier kein neuer Schwarzer Falke entstanden ist, auch kein actiongeladener Häftlingstransport zum Todeszug nach Yuma. Dagegen können Sie sich jetzt die DVD-Ausgabe eines eigenwilligen Western leihen, der mit einem vergleichsweise geringen 20 Mio. Dollar Budget einen interessanten, wenn auch etwas altmodischen Film zeigt, der gefühlt doch länger erscheint, als es die 111 Spielminuten vermuten lassen.
Das Schlusswort zu Appaloosa möchten wir Renée Zellweger überlassen: "Mir gefällt, dass die Leute im Film so menschlich sind. Ihre Menschlichkeit strömt aus ihnen heraus, ohne künstlich nett und freundlich zu sein. Es ist einfach nur echt, was es für mich zu einem großartigen Film macht, egal aus welchem Genre."